Tagelied
- (1)
- Den morgenblick bei wächters sang erkor
Die frau, da voll ergetzen
An werten freundes armen sie lag,
Darum sie süße freuden viel verlor,
Da mußten sich benetzen
Lichte augen. Sie sprach: 0 weh, tag,
Wild und zahmes freut sich dein
Und sieht dich gerne,
Nur ich eine: wie soll mirs ergehn?
Nun kann nicht länger hie bei mir bestehn
Mein freund: den jagt von mir dein schein.
- (2)
- Der tag mit kraft voll durch die fenster drang,
Viel schlösser sie beschlossen:
Das half nicht, drum ward ihr sorge kund.
Die freundin den freund fest an sich zwang,
Die augen, die begossen
Ihr beider wangen. So sprach ihr mund:
Zwei herzen und ein leib sind wir,
Ganz ungeschieden
Unsere treue miteinander fährt;
Der großen liebe sturm liegt tief und ganz verheert,
Wenn so du kommst und ich zu dir.
- (3)
- Der traurige mann nahm urlaubs bittres muß.
Als lichte leiber, weiche wangen
Näher kamen, sah des tages schein
Auf weinend auge, süßer frauen kuß.
Ganz flochten und umschlangen
Sie münder, brüste, arme, blankes bein:
Wollt ein meister malen das,
Wie sie gesellig
Lagen so, wär das auch dem genug.
Ob beider freude auch viel sorgen trug,
Sie pflegten minne sonder haß.
Übertragen von Friedrich W olters
